Karen Jeppe
Kaum jemand hätte geahnt, dass dieses kleine blonde Mädchen einmal eine entscheidende Rolle bei der Rettung eines Volkes spielen sollte.
Direkt oder indirekt verdanken Tausende Armenier ihr das Überleben, die sonst im Völkermord umgekommen wären. Nur wenige haben aus eigener Kraft der Menschlichkeit einen solchen Dienst erwiesen wie Karen Jeppe.
Karen Jeppe war 13, als ihr Vater, ein Deutscher, sie in seine Heimat schickte, damit sie bei ihren dortigen Angehörigen die Sprache lernte. Dass sie innerhalb eines Jahres der deutschen Sprache mächtig war, spricht von ihrer linguistischen Begabung. Später beherrschte sie sechs Sprachen fließend.
Ein Jahr später, 1903, reiste Karen gegen den anfänglichen Widerstand ihres Vaters nach Urfa an der heutigen Grenze zu Syrien, um sich der deutschen Mission anzuschließen.
Nur ein Jahr brauchte Karen, um Armenisch, Arabisch und Türkisch zu erlernen.
Als Kind hatte sie schon mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit Sprachen gelernt, indem sie eine besondere Methode anwendete, die sich auf Ohr und Auge konzentrierte. Ihren jungen Schützlingen brachte sie das auch bei und sparte so ein Drittel der Zeit, die sie zum Erlernen einer zweiten Sprache benötigten. Ihr guter Ruf als Lehrerin und großes Organisationstalent wuchs fast mit jedem Tag.
1908 kehrte sie zurück in ihre Heimat, um Vorträge zu halten. Doch es kam zu neuen Grausamkeiten in Kilikien, das in etwa den heutigen türkischen Provinzen Adana und Mersin entspricht. Etwa 20.000 bis 30.000 Armenier waren abgeschlachtet worden. Karen Jeppe ging zurück. Derweil kehrte im Osmanischen Reich eine mulmige Ruhe ein.
Karen Jeppe stellte sich gegen die Flut.
1921 kehrte sie mit Unterstützung des Völkerbundes nach Aleppo zurück auf der Suche nach armenischen Mädchen, die während des Völkermordes als Sklavinnen verkauft worden waren.Zwischen 1922 und 1923 errichtete sie Such- und Hilfsstationen in Aleppo. Mit Geld, das sie in Europa aufgetrieben hatte, gelang es ihr, viele Frauen und Kinder von ihren arabischen Besitzern freizukaufen. Leider weigerten sich manche Araber, die Babys für Geld wieder herauszugeben. In diesen Fällen blieben die Mütter lieber bei ihren Sklavenhaltern.
Aber die Begegnung mit einem arabischen Beduinen sollte ihr Gutes bringen.
Hadjim Pascha besaß einen Landstrich im Osten der Euphrat-Region. Karen Jeppe packte ihr kleines Zelt ein und fuhr zu ihm hinaus. Schon erstaunlich, wie eine sture Dänin und ein Beduine bereit waren, über Vorurteile hinweg etwas auszuhandeln. Gegenseitige Achtung und Sympathie waren der Schlüssel. Karen Jeppe brachte aus dem Treffen Folgendes mit: genügend Ackerland, um 30 Familien zu ernähren.
Friede und Freude kehrten ein. Die Piloten der französischen Luftwaffe wippten jedes Mal mit den Tragflächen, als sie regelmäßig vorbeiflogen.
1935 erlitt sie auf dem Weg zu ihrem Haupthaus in der Siedlung einen ihrer üblichen Malariaschübe, der jedoch wesentlich schlimmer war als alle zuvor. Sie wurde ins Krankenhaus nach Aleppo gebracht, wo sie kurz darauf verstarb.