Dalita I. Alex

German
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„Ich habe meinen Mann und die Perlen geheiratet“, sagt Dalita I. Alex, eine aufgeschlossene und dynamische Frau Ende Fünfzig, halb scherzhaft. Sie bereiste Ostasien, den Nahen Osten und Nordamerika, bevor sie sich in der Schweiz niederließ und dort mit ihrem Mann eine Perlenzucht aufbaute. Heute ist sie Autorin von vier Büchern und organisiert jährlich Ausstellungen mit Perlenschmuck, den sie selbst entwirft. Ihre Lebensgeschichte ist untrennbar mit der Überlebensgeschichte ihrer Urgroßeltern verbunden.
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„Ich habe meinen Mann und die Perlen geheiratet“, sagt Dalita Iskendarian-Alex (geb. Vartanian), eine aufgeschlossene und dynamische Frau Ende Fünfzig, halb scherzhaft. Sie bereiste Ostasien, den Nahen Osten und Nordamerika, bevor sie sich in der Schweiz niederließ und dort mit ihrem Mann eine Perlenzucht aufbaute. Heute ist sie Autorin von mehreren Büchern und organisiert jährlich Ausstellungen mit Perlenschmuck, den sie selbst entwirft. Ihre Lebensgeschichte ist untrennbar mit der Überlebensgeschichte ihrer Urgroßeltern verbunden.
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Eine Familie, die zahlreiche Waisenkinder rettete

 
„Meine Großmutter Digranuhi Schamamian war damals etwa 15 Jahre alt, als sie nach einem kräftezehrenden Marsch durch die Syrische Wüste Aleppo erreichte. Die Bedingungen waren so entsetzlich, dass zahllose ihrer Landsleute umkamen. Sie stammte aus einer sehr bekannten Familie, die hohes Ansehen in Aintab, Marasch und anderen umliegenden Städten genoss“, so Dalita I. Alex. „Trotz ihres hohen Alters kamen viele Armenier, darunter Ärzte und andere wichtige Persönlichkeiten Aleppos, zu Besuch und küssten ihr die Hand aus Dankbarkeit und Ehrerbietung. All das hat mich sehr bewegt“, erinnert sich Dalita I. Alex an ihre Kindheit zurück.
 
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Großmutter Digranuhi Schamamian und ihr Ehemann Manuel Tchabkinian

 

Die Urgroßeltern von Dalita I. Alex hatten ein großes Herz für Waisenkinder. Noch vor dem Völkermord an den Armeniern hatten sie trotz ihrer sechs eigenen Kinder dreizehn weitere adoptiert. Als die Familie schließlich Richtung Deir ez-Zor getrieben wurde, kaufte sie viele entführte armenische Kinder bei den Kurden frei oder nahm alleingelassene Waisen einfach mit. Sie rettete diese Kinder und sich selbst vor dem Tod, indem sie die Türken mit Gold und Schmuck bestach.

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                                         Die Familie Schamamian in Aleppo

 

„Mein Urgroßvater Melkon Schamamian stammte aus Kilis, einem kleinen Ort zwischen Marasch und Aintab an der heutigen Grenze zwischen der Türkei und Syrien. Er besaß riesige Olivenbaumplantagen und war sehr reich. Meine Großmutter Digranuhi erzählte, in ihrem Keller hätten Tausende von Ölflaschen gelagert, die mein Urgroßvater in ganz Kleinasien vertrieben habe.

 
„Eines Tages brachen die Türken die Tür des mehrstöckigen Hauses meines Urgroßvaters auf und nahmen ihn mit. Er sollte nie wieder zurückkehren trotz des Goldschmuckes, den er sich eilig an seinen Gürtel gehängt hatte in der trügerischen Hoffnung, sich damit bei den Türken freikaufen zu können. Bald darauf wurde die gesamte Familie auf den Todesmarsch durch die Syrische Wüste geschickt. Einen Teil des Weges konnte die Familie glücklicherweise in Wagen zurücklegen, an die sie durch die Bestechung türkischer Gendarmen gekommen war.
 
Nach ihrer Ankunft in Aleppo ging ihnen allmählich das Geld aus und die Familie kam immer schlechter über die Runden. „Meine Großmutter Digranuhi heiratete schließlich Manuel Tchapkinian und sie bekamen fünf Kinder. Mari, meine Mutter, ist die älteste und kam 1928 zur Welt. Es folgten vier Söhne. In den 1940er-Jahren heiratete meine Mutter Garbis Vartanian und blieb in Aleppo. Meine Großeltern nahmen ihre vier Söhne und wanderten 1948 ins armenische Leninakan, das heutige Gjumri, aus. Sie wollten verhindern, dass ihre Söhne Militärdienst in einem arabischen Land leisten. Meine Großmutter Digranuhi besuchte uns regelmäßig in Aleppo.“
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                          Dalita I. Alex mit ihrem Vater Garbis Vartanian und Mutter Mari.

 

 

Ein Vater, der sich hocharbeitet

 
Garbis Vartanian, der Vater von Dalita I. Alex, kam als Sohn von Überlebenden des Völkermordes in Aleppo zur Welt und wurde im Lauf der Zeit zu einer angesehenen Persönlichkeit der Stadt. „Dabei war er kaum zur Schule gegangen“, wundert sich die Tochter. „Als ihn der Lehrer wieder mal bestrafen wollte, rannte er weg. Er war dreizehn Jahre alt und doch fest entschlossen, nie wieder zur Schule zu gehen. Unbeirrt sagte mein Vater zu seinen Eltern, sie sollten sich keine Sorgen machen, und erklärte im Brustton der Überzeugung, er werde reich und sich gut um sie kümmern, wenn sie alt seien.“
 
Und er hielt Wort. Zunächst machte er eine Ausbildung zum Mechaniker und eröffnete alsbald eine eigene Autowerkstatt. Später bot sich ihm die Gelegenheit, als Erster schwedische Autos der Marke Scania im ganzen Nahen Osten zu vertreiben. „Als sich die Lage für Christen in Syrien jedoch Jahr für Jahr verschlimmerte, beschlossen meine Eltern schließlich, nach Beirut zu ziehen.“
 
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                  Dalita I. Alex mit ihrem Ehemann John I. Alex und Kindern in Genf, 1987.

 

Eine Heirat und ein Abenteuer

 
Während die Familie von Dalita I. Alex in Syrien und später im Libanon Zuflucht fand, brachte sich die Familie ihres Ehemannes John Iskendarian-Alex in Palästina in Sicherheit. Kurz nachdem John Iskenderian in Bethlehem zur Welt gekommen war, zog die Familie weiter nach Südamerika: Argentinien, Brasilien und schließlich Bolivien. Auf einer seiner zahlreichen Geschäftsreisen in den Libanon als erfolgreicher Geschäftsmann, der mit Perlen handelte, lernte John Iskenderian die 19-jährige Dalita Vartanian kennen, die an der Universität von Beirut Philosophie und Geschichte studierte und zu promovieren beabsichtigte. Zwei Wochen nach ihrem Kennenlernen – es war Liebe auf den ersten Blick – traten die beiden im Februar 1969 vor den Traualtar. Einige Tage nach der Hochzeit zog das Paar ins japanische Kobe, das damals als das Zentrum der Perlenzucht galt. Dort kamen ihre zwei älteren Kinder Arthur und Marie-Dalia zur Welt. Die jüngste Tochter Alexia erblickte das Licht der Welt in Beirut, wo sie regelmäßig zu Besuch waren.
 
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Dalita I. Alex repräsentiert Armenien zusammen mit ihrem Ehemann John I. Alex und ihrem Sohn Arthur bei der Parade in Kobe, Japan. 

 

In ihrer neuen Heimat setzte Dalita I. Alex alles daran, den Japanern zu erklären, wer Armenier sind und was die armenische Kultur ausmacht. „Ich betrachte dies als das Kreuz meines Lebens. Ich sage Kreuz, weil es keine leichte Aufgabe ist. Die Japaner dachten, wir seien Amerikaner, weil wir kaukasisch aussahen. Sie hatten noch nie von Armeniern gehört. Einmal trafen John und ich Charles Aznavour, den berühmten armenisch-französischen Chansonnier, bei einem seiner Konzerte in Osaka. Weder er noch ich werden jemals vergessen, wie verblüfft und zugleich begeistert er war, auf ein armenisches Paar unter seinen japanischen Fans zu treffen.“ Dalita I. Alex verstand es bestens, Armenien zu repräsentieren und über das Land zu informieren. Dieses Talent brachte sie bald ins japanische Fernsehen. „Wir durften bei der Parade in Kobe mit unseren nationalen Trachten auftreten“, sagt sie stolz. Dennoch bestand sie darauf, sich in Japan zu integrieren: Dalita I. Alex und ihr Ehemann sprechen beide fließend Japanisch.

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Dalitas Bücher „China, die Perlen und ich“ und „Der Prinz in der Schweiz“ gewidmet ihrem Sohn Arthur. 

 

Die Chinesen bitten um armenisches Know-how

 
Dalita I. Alex wurde mehr und mehr zu einer Perlenexpertin, denn ihr Ehemann teilte sein Wissen großzügig mit ihr. „Eines Tages kontaktierten uns Gesandte der chinesischen Regierung. Sie baten darum, in der japanischen Kunst der Perlenzucht unterrichtet zu werden, weil wir die einzigen mit dem nötigen Know-how seien. Mein Mann fragte seinen besten japanischen Perlenzüchter und so gingen wir alle nach China.“ Dieser mutige und historische Schritt legte den Grundstein für die erfolg- und facettenreiche Perlenzucht in China, wie man sie heute kennt. Die chinesische Regierung bat Dalita I. Alex zudem, ein Sachbuch über Perlenzucht zu schreiben, was sie auch gerne tat. Das von der Intercontinental Press in Peking herausgegebene Buch trägt den Titel „China, die Perlen und ich“. Es wurde ins Chinesische und Französische übersetzt und verkaufte sich über 50.000 Mal. Seit nunmehr 35 Jahren ist das Ehepaar in China gern gesehen und unterhält gute Beziehungen zu chinesischen Diplomaten in Europa.
 
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Perlenschmuck-Ausstellung in Zürich, woran namhafte armenische Künstler aus Armenien teilnahmen. Organisiert von ihrer Tochter Alexia im Dezember 2015.

 

Neues Zuhause und unerwartete Konkurrenten 

 
Mitte der 70er-Jahre, nach mehreren Jahren Aufenthalt in Japan, war es an der Zeit nach Hause zurückzukehren. Doch im Libanon drohte ein Bürgerkrieg auszubrechen. John Iskenderian, der gerne Urlaub mit der Familie in der Schweiz machte, schlug vor, ihr Glück in Europa zu versuchen. Aufgrund ihrer Kenntnisse in der Perlenzucht und dem Geschäft als Ganzem sowie der damit einhergehenden Entstehung von Arbeitsplätzen erteilten die Schweizer Behörden eine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung. So wurden aus dem Paar die ersten Händler industriell gezüchteter Perlen in Europa, worüber schließlich die Zeitungen berichteten. 25 Jahre funktionierte die Zusammenarbeit mit China gut, im ganzen Land entstanden Perlenzuchtbetriebe und Arbeitsplätze. Dies war der Beginn des blühenden Geschäftszweiges. Der Erfolg hielt an, bis es zu einem weltweiten Chaos auf dem Perlenmarkt kam, das durch illegalen Wettbewerb von vertragsbrüchigen chinesischen Perlenzüchtern und -händlern ausgelöst worden war. Wir blieben kiloweise auf unverkauften Perlen sitzen“, sagt Dalita I. Alex. Dennoch hat sie ihre Perlen nie aufgegeben. „Wir hatten so reichlich davon, dass ich das Beste daraus machte: Schmuck. 2001 wurde ich Designerin und verkaufe meine Stücke unter dem Namen ‚Best Pearl‘.“
 
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Dalita I. Alex trifft Charles Aznavour erneut auf Einladung der armenischen Botschaft anlässlich der Unabhängigkeitserklärung Armeniens im Jahr 1991. 

 

Ein Hoch auf die Vorfahren 

„Wenn ich die syrischen Flüchtlinge heute sehe, muss ich an uns Armenier vor hundert Jahren denken. Auch wir verließen unsere Heimat. Angst und Krankheiten waren unsere ständigen Begleiter. Zwar ging es uns zu dieser Zeit in erster Linie ums Überleben, und doch bestanden wir trotz der Umstände darauf, unseren Kindern eine grundlegende Bildung zuteilwerden zu lassen und die Buchstaben des Alphabets wenn nötig in Sand zu schreiben, wenn es an Stift und Papier mangelte. Für diesen unbeirrbaren Glauben an eine bessere Zukunft werde ich meinen Vorfahren auf ewig dankbar sein. Heute spreche ich sieben Sprachen, darunter ironischerweise Türkisch, was ich von meiner Großmutter Digranuhi gelernt habe, als sie mir jede Nacht ihre Überlebensgeschichte erzählte. Ich bin durch und durch Armenierin, mit jeder Faser meines Körpers. Das Armenische ist überall in mir, in meinem Herzen, in meinem Kopf.“
 
 
Die Geschichte wurde verifiziert vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES.
Subtitle: 
Auf ewig dankbar für den unbeirrbaren Glauben an eine bessere Zukunft.
Story number: 
220
Author: 
Irina Lamp
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