Kim Kashkashian besuchte die berühmte Interlochen-Kunstakademie und machte ihren Abschluss am Peabody-Konservatorium der Musik und an der Neuen Musikschule in Philadelphia. Als Kind wollte die Musikerin Klarinette spielen, doch dieses teure Instrument konnte sich die Familie nicht leisten. So nahm sie sich die Geige, die in ihrer Familie keiner mehr spielte. Seitdem bereichert sie die Welt mit ihrem Talent. Auch wenn Musiker meist aus Familien kommen, in denen andere Mitglieder ein Instrument spielen, trifft dies auf Kim Kashkashian nicht zu. Sie erinnert sich zwar, wie ihr Vater und ihre Tante zu Hause und in der Kirche sangen, dennoch ist sie die einzige Profimusikerin in ihrer Familie. „Irgendwo muss man ja anfangen“, sagt sie schulterzuckend.
Neben den vielen Auszeichnungen, die sie bekommen hat, fand Kim Kashkashian große Anerkennung für ihre feinsinnige und originelle Interpretation spanischer und argentinischer Volkslieder, darunter Manuel de Fallas „Asturiana“ (ECM Records 2006, begleitet von Robert Levin auf dem Klavier) sowie für ihre Uraufführungen von Werken zeitgenössischer Komponisten wie György Kurtág, Krzysztof Penderecki, Alfred Schnittke, Giya Kancheli, Arvo Pärt und Tigran Mansurian. Alles in allem hat die Musikerin etwa dreißig Alben aufgenommen, viele davon mit ECM und anderen Spitzenlabels.
Kritiker Tom Manoff schreibt für das National Public Radio, das aus einem Netzwerk von 900 nichtkommerziellen Hörfunksendern in den USA besteht: „Wenn ich ihren Namen höre, denke ich nicht zuerst an die Bratsche, sondern an Lyrik. Ebendiese Art von Musik, die wie ein guter Song ganz sanft mit viel Gefühl dahinfließt.“ Kim Kashkashian hat mit dem ihr eigenen Stil schon oft die großen Orchester der Welt begleitet, darunter die in Berlin, New York und Tokio. Auch mit den Quartetten in Guarnieri und Tokio hat sie schon gespielt, genau wie an der Seite von Koryphäen wie YoYo Ma und Gidon Kremer.
Kim Kashkashian spielt nicht nur regelmäßig auf den großen Bühnen der Welt, sondern sie unterrichtet auch an der Universität von Bloomington im US-Bundesstaat Indiana und an den Konservatorien in Freiburg und Berlin. Seit 2000 unterrichtet sie Bratsche und Kammermusik am Neuengland-Konservatorium in Boston.
Anastas Effendi, der Held
Die Geschichte der Familie Kashkashian steht stellvertretend für die so vieler anderer, deren Vorfahren den Völkermord überlebten dank der guten Taten und der Willenskraft von Nachbarn, die sich für sie einsetzten. Manchmal konnte schon ein einflussreicher Freund mit Verbindungen zur Regierung über Leben und Tod entscheiden.
Kim Kashkashians Großeltern väterlicherseits stammten aus der Stadt Sungurlu, die etwa 70 Kilometer südwestlich der Provinzhauptstadt Çorum an der Verbindungsstraße von Ankara nach Samsun liegt. Ihr Großvater Dikran Hushhushian war ein gebildeter Mann mit recht guten Verbindungen. Er heiratete Rakel Kurkjian, geborene Aslanian, eine junge Frau aus Gürün in der zentralanatolischen Provinz Sivas. Das Paar hatte zwei Kinder, Ardavast und Mary. Zu Dikrans Bekannten zählte der wichtige griechische Händler Anastas, dem man im Osmanischen Reich durch Nachstellung des Titels Effendi großen Respekt zollte. Heute erinnert man sich nur an seinen Namen, doch er spielte die entscheidende Rolle bei der Rettung der Familie.